Frieden in der Kriegszone Wald finden

Meine Gebrauchsanleitung für den Sachsenwald

Ich marschiere nicht, ich wandere! Und wenn ich im Sachsenwald wandere, will ich keinen Sieg nach Hause tragen, sondern suche nach Ruhe und Frieden. Das ist leichter gesagt als getan. Ruhe und Frieden sind leider nicht so einfach zu finden, denn ich bin nicht allein im Sachsenwald und er gehört mir auch nicht. Selbst, wenn er mir gehören würde, wäre da noch das Bundeswaldgesetz, das allen Menschen ein generelles und großzügiges Betretungsrecht in deutschen Wäldern schenkt. Und so muss der Wald viele Ansprüche befriedigen: Er soll Holz liefern, unser Klima retten, den Pflanzen und Tieren des Waldes einen Lebensraum bieten und gleichzeitig ein naturnaher Freizeitpark mit unbeschränktem Zutritt sein. Es ist jedoch offensichtlich, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse von Förstern, Landwirten, Jägern, Klima- und Umweltschützern, Spaziergängern, Wanderern, Joggern, Mountainbikern und Reitern zu Zielkonflikten führen.

Es sind genau diese Zielkonflikte, deren Streitpotenzial den Frieden im Wald gefährdet. Der Wanderer ärgert Mountainbiker und Jogger, wenn er gedankenverloren den schmalen Pfad blockiert. Mountainbiker und Jogger ärgern den Wanderer, wenn sie ihn dicht bedrängen und rabiat vom Weg brüllen. Das Streitpotenzial wächst, wenn Hunde und Pferde ins Spiel kommen. Heerscharen von laut schnatternden Spaziergängern ärgern den Wanderer, der im Wald die Ruhe sucht. Förster und Jäger kochen vor Wut, wenn gedankenlose Wanderer das Wild in ihren Einständen aufscheuchen. Fußgänger ärgern sich über Forstarbeiter, die mit großen Maschinen im Wald sind, Wege sperren und diese hernach als Schlammwüste zurücklassen. Nur wenige Freizeitbesucher akzeptieren naturschutzbedingte Betretungsverbote und noch weniger Menschen scheren sich um die von Jägern ausgewiesenen Wildruhezonen. Diese Liste von Zumutungen ließe sich seitenweise fortführen.

Offensichtlich bin ich nicht der einzige, dem dieser Kriegszustand im Wald auffällt. Jüngst berichteten die Tagesthemen über den Streit zwischen Wanderern und Mountainbikern, siehe meinen Blog vom 5.7.2021. Die FAZ berichtete unter dem Titel „Hier will ich mich erholen, hau ab!“ über das Thema und der Blogger Waldpoet fragt in seinem Artikel provokativ: „Warum sind Jäger eigentlich immer unfreundlich?

Eigentlich sollte in unserem Staat eine ausgewogene Rechtsordnung für bürgerlichen Frieden sorgen. Leider lässt der Staat uns hier im Stich. Unser Wald- und Naturschutzrecht ist kompliziert, widersprüchlich und teilweise lebensfremd. Darüber hinaus gilt für den Wald das gleiche wie für Innenstadtbezirke: Der Staat hat im Ordnungsrecht längst kapituliert und die Durchsetzung von Ordnung aus seiner Prioritätenliste gestrichen. Für das Leinengebot im Wald gilt das gleiche wie für das Parkverbot in Hamburg-Eppendorf: Wen interessiert das? Wer MitbürgerInnen auf Ordnungsverstöße hinweist, riskiert inzwischen seine körperliche Unversehrtheit. Recht hat, wer frech und stark ist. Wer sich an Ordnungen hält, wird zum frustrierten Deppen.

Soweit die pauschalierte Beschreibung der Kriegszone Wald. Pauschal deshalb, weil es nicht für alle gilt. Es gibt sie, die netten Wanderer, Spaziergänger, Radfahrer, Förster und Jäger. Leider aber reicht das Verhalten einer Minderheit aus, die gesamte Atmosphäre zu vergiften.

Was also wäre zu tun, um die Kriegszone Wald zu befrieden?

Ich könnte jetzt eine lange Liste von Forderungen an Politik, Waldbesitzer, Ordnungsbehörden, Förster, Jäger und Waldbesucher zusammenstellen. Aber genau so gut könnte ich einem Ochsen ins Horn kneifen. Man muss den Frieden schon bei sich selbst suchen. Meine Gebrauchsanleitung für den eigenen Frieden im Sachsenwald lautet also:

Früh raus! Es gibt viele gute Gründe, am frühen Morgen in den Sachsenwald zu gehen. Die Luft ist noch frisch, das Licht zum Fotografieren am besten, das Wild noch nicht in den Unterständen und – am wichtigsten – es herrschen noch Ruhe noch Frieden im Wald. Es ist schon sehr selten, dass man einen anderen Menschen antrifft. Allein deshalb reduziert frühes Aufstehen das Risiko von Konflikten am allermeisten.

Gönnen können! Einfach anerkennen, dass die eigenen Bedürfnisse nicht über denen der Anderen stehen. Ich bin nicht der Mittelpunkt der Welt, auch andere Menschen haben ihre Rechte. Einfache Rituale helfen dabei, zum Beispiel das Grüßen. Die wenigen Menschen, die ich im Wald treffe, kann ich auch grüßen. Manchmal entsteht daraus auch ein kleines freundliches Gespräch, das die Wanderung bereichert und nicht beschwert.

Waldrecht beachten! Wer die Regeln des Waldes beachtet und sich naturverträglich verhält, kann souverän mit Menschen umgehen, die das nicht tun. Souverän heißt nicht, den Ordnungshüter zu spielen, solche Versuche enden selten befriedigend. „Don’t wrestle with a pig. You both get dirty and the pig will like it.“ Souveränität zeigt sich in der Fähigkeit, diese Zeitgenossen nicht einmal zu ignorieren. Sie leben in einem anderen Universum und können mir daher nicht meinen Tag verderben.

Mit diesen drei einfachen Regeln bin ich bisher sehr gut und harmonisch durch den Wald gekommen.