Seit bessere Digitalkameras mit wirksamen Stabilisator-Systemen ausgestattet sind, scheinen Fotostative aus der Zeit gefallen zu sein. Es scheint, dass nur noch nostalgische Schrate das Stativ benutzen. Das könnte stimmen, wenn der Nutzen des Stativs auf das ruhige Halten einer Kamera beschränkt wird. Das ist jedoch nicht einmal die halbe Wahrheit. Mein Statement für das Stativ zeigt, dass das Stativ für eine Fotografie steht, in der Ruhe, Sorgfalt und Freude am fotografischen Prozess im Mittelpunkt stehen.

Anlass für diesen Artikel war die Neuanschaffung eines großen Stativs. Über Jahrzehnte habe ich ein kleines Reisestativ genutzt, zuerst ein Manfrotto B190 mit 3-Wege-Neiger und später ein Sirui 2204X mit Kugelkopf. Ich war beruflich stark engagiert und habe hauptsächlich auf Reisen fotografiert, so dass Gewicht und Packmaß stets ein sehr wichtiges Kriterium war. Mit dem Eintritt in den Ruhestand gewann die Fotografie mehr Raum in meinem Alltag, so dass ich mich irgendwann nicht mehr über die Vorteile des Reisestativs gefreut, sondern an seinen Nachteilen gestört habe: Die geringe Höhe und die Mittelsäule waren immer problematisch, und mit dem Kugelkopf konnte ich mich nie richtig anfreunden. Auslöser für den Neukauf war dann der Versuch, einen Kreuzlaser mit einer Schraubzwinge an die Carbon-Mittelsäule meines Sirui-Stativs zu befestigen, um eine neue Deckenlampe auszurichten. Ich hätte besser das alte Manfrotto aus Alu nehmen sollen… Nun sollte es also ein großes Stativ mit einem 3-Wege-Neiger sein. Geworden ist es dann ein Rollei Alpha XL Mark III mit einem Arca Swiss Core 75 Leveler als Stativ-Kopf. Die ersten Shootings mit dieser Kombi haben mich bereits überzeugt. Wenn ich mehr Erfahrung gesammelt habe, werde ich mal ein Review darüber schreiben.

Zunächst hatte ich mich jedoch grundsätzlich hinterfragt, ob ich wirklich ein neues und großes Stativ brauche. Diese Überlegungen habe ich einer alten Gewohnheit folgend aufgeschrieben, hier nun das Ergebnis:

Das Stativ ist ein Statement

Ein Stativ ist unübersehbar und ungewöhnlich. Fotografen, die mit einem richtigen Stativ unterwegs sind, fallen zunächst auf. Kein Wunder: Wer den Nutzen eines Stativs auf verwacklungsfreie Aufnahmen reduziert, braucht mit einer modernen Kamera keines mehr. Hohe ISO-Zahlen und schnelle Belichtungszeiten in Verbindung mit wirksamen Stabilisatoren sorgen heute dafür, dass selbst Teleaufnahmen bis 1/5 Sekunde ohne Verwacklung gelingen. Und so kommt es, dass das Stativ aus dem sichtbaren Alltag verschwunden ist, sieht man von Vlogging-Stativen zum Filmen seiner selbst einmal ab.

Das Stativ kann provozieren. Wer sich noch nie intensiv mit der Fotografie vom Stativ auseinandergesetzt hat, kann das Stativ als Statussymbol empfinden, mit dem der Fotograf sich sebst und für alle sichtbar auf einen Sockel stellt: Seht her, ich knipse nicht, sondern betreibe ernsthafte Fotografie! Wir leben in einer dauererregten Welt und aus eigener Erfahrung in Diskussionsforen weiß ich, dass es solche Vorbehalte gibt. Ganz von der Hand weisen lässt sich diese Sichtweise nicht, denn:

Wer ein Stativ benutzt, postuliert nonverbal einen Qualitätsanspruch an seine Fotografie. Das ist zwar nicht der Sinn eines Stativs, aber eine unvermeidbare Begleiterscheinung bei seiner Benutzung in der Öffentlichkeit. Es ist halt einfacher, sein Licht unter den Scheffel zu stellen und damit zu kokettieren, dass man eigentlich nur ein wenig herumknipse und selbst immer wieder erstaunt sei, wenn ein gutes Bild dabei herauskomme. Diese taktische Selbstverkleinerung funktioniert nicht mehr, wenn ich mit dem Stativ fotografiere. Natürlich benutze ich das (wie eine gute Kamera), um ein gutes Bild zu machen!

Das Stativ erzieht zur Sorgfalt.

Egal, was wir erschaffen, ob ein Möbelstück oder ein Foto: Sorgfalt führt zu einer Qualität, die einem Werk innewohnt. Das ist nicht immer auf den ersten Blick zu sehen und muss es auch nicht. Nur mit Sorgfalt erfüllt der Erschaffer eines Werks seine Berufung und verwirklicht sich dabei selbst. Und der spätere Besitzer oder Betrachter eines solchen Werks kann sich dann auch an den inneren Werten erfreuen. Wer je sein Steak mit einem handgefertigten Messer aus einer Laguiole-Schmiede geschnitten hat, weiss, wovon ich rede. Leider ist Sorgfalt im Alltag zu Luxus geworden. Die meisten Dinge werden ohne jede Sorgfalt unter dem Motto „gerade gut genug“ mit geplanter Obsoleszenz gefertigt. Hauptsache billig! Ich glaube nicht, dass irgendein Mensch glücklich dabei ist, fabrikneuen Sperrmüll zu fertigen. Die Amateurfotografie wird da wie jedes Hobby eine kleine Weltflucht dorthin, wo ich nicht „gut genug“, sondern „so gut wie möglich“ sein darf. Amateurfotografie ist reinster Luxus. Ich bin nicht dem Diktat einer Redaktion oder eines Kunden unterworfen. Ich definiere meine Maßstäbe, ich entscheide meine Kompromisse und ich bin dabei nur mir gegenüber verantwortlich. Ich will nicht nur ein gutes Bild machen, sondern auch Freude im fotografischen Prozess haben!

Ich habe diese grundsätzlichen Bemerkungen zur Sorgfalt vorausgeschickt, um deutlich zu machen, warum mir die Sorgfalt in der Fotografie so wichtig ist. Die Fotografie mit dem Stativ hilft mir, meine persönlichen Ansprüche von Sorgfalt praktisch umzusetzen.

Foto: Christian Geisler (https://www.meerfreiheit.com)

Die Aufnahme vom Stativ ist ein bewusster Prozess und das Gegenteil vom Point-and-Shoot. Dieses Statement ist keine Abqualifizierung von Point-and-Shoot. Auch ich gehe gerne mit einer Kamera los und fotografiere beherzt drauf los, wenn ich ein Motiv entdecke. Und ja, auch dabei kommen gute Fotos raus. Die Fotografie mit dem Stativ ist nicht besser, sondern anders. Denn:

Bestimmte Sujets erfordern besondere Sorgfalt bei der Fotografie. Gerade in der Landschaftsfotografie entfalten viele Motive ihr Potenzial nicht auf den ersten Blick. Sie müssen zunächst erschlossen werden. Das gilt insbesondere in meiner Waldfotografie, wo ich bei vielen meiner Motive zwar ihre Ausstrahlungskraft erkenne, aber viel Zeit brauche, um mich auf den ganzen Ort einzulassen, ihn auf mich wirken zu lassen, Assoziationen geschenkt zu bekommen, das Licht abzuwarten oder mir andere Wetterbedingungen oder Jahreszeiten vorzustellen. Bei dieser ausführlichen Beschäftigung mit dem Motiv entstehen dann meine Bildideen.

Die Umsetzung der Bildidee ist dann Handwerk, bei der die Parameter Standpunkt, Bildwinkel, Ausschnitt, Blende, Belichtungszeit, Fokus, Schärfentiefe bewusst gesteuert werden. Das sind sehr viele Parameter. Wer zu früheren Zeiten einmal Vergaser eingestellt hat, hat dabei gelernt, dass tunlichst nur eine Schraube zur Zeit verdreht werden darf.

Das Stativ erzieht dazu, diese fotografischen Parameter bewusst und sequentiell zu steuern. Wenn Standpunkt, Bildwinkel und Ausschnitt mit dem Stativ fixiert sind, lassen sich alle weiteren Einstellungen in aller Ruhe durchprobieren, denn:

Das Stativ hilft, das gemachte Bild sofort zu bewerten und jeden Aufnahmeparameter einzeln zu optimieren. Damit erschließe ich mir den größten Vorteil digitaler Kameras, nämlich, dass ich sofort nach der Aufnahme das Bild betrachten, bewerten und verbessern kann.

Das Stativ kann mehr, als den Fotografen zu erziehen.

Auch wenn die subjektiv empfundene fotografische Sorgfalt meine Hauptmotivation bei der Verwendung eines Stativs ist, so bietet das Stativ auch objektiven Nutzen beim Fotografieren:

Das Stativ unterstützt mich bei der präsisen Ein- und Ausrichtung der Kamera. Ich versuche, das gesamte Bild zu füllen. Dabei kommt es besonders auf die Details an den Bildrändern an, wo es manchmal nur minimaler Änderungen des Standpunktes oder der Ausrichtung bedarf. Bei den vertikalen Strukturen des Waldes kommt es auch auf die präzise Ausrichtung der Kamera-Achse an. Und ganz besonders wertvoll wird das Stativ, wenn ich gelungene Bilder zu einem späteren Zeitpunkt bei anderen Bedingungen nachstellen will.

Das Stativ verbessert Belichtungsreihen: Die Lichtverhältnisse im Wald sind häufig kritisch und reizen die Spezifikationen des Sensors voll aus. Es bewährt sich praktisch fast immer, eine Belichtungsreihe von +/- 2 Blenden zu machen. Das geht zwar auch aus der Hand, aber wirklich deckungsgleich sind die Aufnahmen selten.

Nur das Stativ ermöglicht Fokusstacking: Ein gezielter Fokus verleiht vielen Waldbildern eine räumliche Tiefe. Daher fotografiere ich meist mit lichtstarken Festbrennweiten, die bei Offenblende eine sichtbar selektive Schärfentiefe bieten. Manchmal ist es notwendig, solche Aufnahmen mit Fokusstacking zusammenzufassen, was aber nur funktioniert, wenn die Bilder genau deckungsgleich sind.

Das Stativ ermöglicht qualitativ hochwertige Panoramaaufnahmen: Zwar bietet heute jede Kamera die Möglichkeit, eine Panoramaaufnahme durch einen Schwenk aus der Hand zu machen, aber dieses Art des Fotografierens widerspricht so ziemlich allem, was ich im Kapitel über die Sorgfalt geschrieben habe.

Einige Motive erfordern Langzeitbelichtung. Nicht nur Nachtaufnahmen, Wasserfälle und Bachläufe gewinnen durch Langzeitbelichtung. Auch die selektive Bewegungsunschärfe von Gras und Blättern kann dem Bild eine besondere Atmosphäre und Dynamik verleihen.

Ein Stativ entlastet beim Fotografieren: Waldfotografie findet unter sehr beschränkten Platzverhältnissen statt und erfordert sehr häufig den Einsatz von Weitwinkelobjektiven. Die wiederum müssen sehr sorgfältig ausgerichtet werden. Um das meist erforderliche Kippen der Kamera und die daraus resultierenden stürzenden Linien zu minimieren, kann die Kamera gar nicht hoch genug positioniert werden. Ein großes Stativ bietet eine Arbeitshöhe von 2m, reduziert den häufig langweiligen Vordergrund und entlastet dabei ungemein.

Das Stativ ist ein sauberer Arbeitsplatz im unsauberen Gelände: Last, but not least, möchte ich auf einen wenig bekannten Vorteil hinweisen, den ein kräftiges und großes Stativ bietet: Man kann seinen Fotorucksack daran anhängen. Der Wald bietet nur selten einen sauberen Platz zur Ablage seiner Fotoausrüstung. Die Konsequenz: Häufig bleibt der Rucksack auf dem Rücken und das schnelle Ausprobieren anderer Brennweiten, eines Filters usw. unterbleibt aus Bequemlichkeit. Der im Stativ eingehängte Rucksack schlägt drei Fliegen mit einer Klappe: Der Fotograf wird beim Fotografieren entlastet, die Schultern können entspannen. Das Gewicht des Rucksacks stabilisiert das Stativ. Darüber hinaus ist die gesamte Fotoausrüstung im bequemen Zugriff.

Ein Stativ hat seinen Preis.

Bei all diesen Vorteilen stellt sich schon die Frage, warum man nicht nur noch mit dem Stativ fotografiert. Nun, leider bezahlt man für diesen Nutzen einen Preis, und damit meine ich nicht den Kaufpreis. Fotografie war nie ein preiswertes Hobby und das Stativ macht den Kohl nicht richtig fett. Der eigentliche Preis des Stativs ist sein Transport. Wer nicht mit dem Auto zur Location fährt, muss das gute Stück tragen. In der Waldfotografie ist das die Regel. Ob man es wie ich vorne vor dem Bauch trägt oder hinten auf den Rucksack schnallt – am Ende lastet das zusätzliche Gewicht an den Schultern und den Knien. Es sind zwar „nur“ je nach Modell zwischen 2 und 5 Kilogramm, aber es addiert sich ja zur restlichen Ausrüstung. Und die will man ja dabeihaben, denn in der Vitrine zuhause nützt das beste Objektiv nichts. So kommen Kilogramm zum Kilogramm, die bei jedem Kilometer mehr drücken. Hinzu kommt: Wer mit großem Fotorucksack und großem Stativ zu Fuß unterwegs ist, macht schon einen etwas schratigen Eindruck auf seine Mitmenschen. Da muss man dann drüberstehen. Aber zum Glück begegnet ich im Wald nur wenigen Menschen.

Foto: Christian Geisler (https://www.meerfreiheit.com)

Fazit

Das Stativ hat auch heute noch seine Berechtigung. Wer die Mühe des Transports und die zuweilen spöttischen Blicke von Frau und Umwelt auf sich nimmt, belohnt sich mit einer spürbaren Bereicherung seines fotografischen Erlebnisses.