Die alten Bäume des Sachsenwaldes

Fotoausstellung von Harald Lemke

Alte Bäume sind ein Sinnbild des Lebens. Sie erzählen uns vom Werden und Vergehen, vom Kampf um das Licht und vom trotzigen Widerstand gegen Sturm und Wetter. Und sie strahlen eine besondere Würde aus, selbst im Sterben. Wer sie in aller Ruhe betrachtet und auf sich wirken lässt, kann Hermann Hesse verstehen, für den alte Bäume heilig waren. In seinem Buch Bäume (Insel-Verlag Berlin) schreibt er:

„Bäume sind für mich immer die eindringlichsten Prediger gewesen. Ich verehre sie, wenn sie in Völkern und Familien leben, in Wäldern und Hainen. Und noch mehr verehre ich sie, wenn sie einzeln stehen. Sie sind wie Einsame. Nicht wie Einsiedler, welche aus irgendeiner Schwäche sich davongestohlen haben, sondern wie große, vereinsamte Menschen, wie Beethoven und Nietzsche. In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen; allein sie verlieren sich nicht darin, sondern erstreben mit aller Kraft ihres Lebens nur das Eine: ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selbst darzustellen. Nichts ist heiliger, nichts ist vorbildlicher als ein schöner, starker Baum…“

Ich finde, besser kann man es nicht ausdrücken.

Hermann Hesses Bäume sind jedoch frei von Romantik, und für schwermütige Larmoyanz ist in ihrem Leben kein Platz. In Phasen, die das Leben schwer ertragbar machen, weisen Hesses Bäume uns streng zurecht: „Sei still! Sieh mich an. Leben ist nicht leicht, Leben ist nicht schwer. Das sind Kindergedanken“.

Mir gefällt die unprätentiöse Art und Weise, mit der Hesse seine Ehrfurcht vor alten Bäumen ausgedrückt hat. Wenn ich einen besonderen Baum im Sachsenwald fotografiere, beginne ich fast jede Fotosession mit seiner eindringlichen Zurechtweisung: „Sei still! Sieh mich an!“. Und so habe ich vor jedem dieser Bäume gesessen und überlegt, welche Geschichte er erzählen könnte, was ihn so besonders macht und wie ich seine Besonderheit am besten aufs Bild bekomme. Viele meiner Bäume haben dabei auch ihren Namen bekommen, meist eine Assoziation, die mir beim Betrachten durch den Kopf ging.

Ich würde mich freuen, wenn meine Baumporträts Sie dazu anregen würden, beim nächsten Waldspaziergang etwas genauer hinzuschauen. Dann sehen Sie, wie besondere Bäume jedem Stück Wald sein eigenes Gesicht geben. Und vielleicht hören Sie dann ja auch, wie so ein Baum zu Ihnen spricht: „Sei still! Sieh mich an.“

Harald Lemke

Mein Freund, der Baum

Ich gebe den Bäumen einen Namen, nenne sie zuweilen meine Freunde und weise ihnen in meinen Bildbeschreibungen sogar Charaktereigenschaften zu. Dazu möchte ich ein paar erklärende Worte vorweg stellen.

Wenn aus einem kleinen Samen ein großer Baum wächst, dann läuft ein genetisch gesteuertes Programm ab. Wir wissen heute, dass das Genom der Eiche aus 750 Millionen Nukleotiden besteht und 26.000 Gene enthält. Sie kann durch somatische Mutationen ihre Genome verändern und sich so an geänderte Umweltbedingungen anpassen. Hinter dieser Fähigkeit vermutet man das Geheimnis ihres langen Lebens. Keine alte Eiche gleicht der anderen, jede hat in ihrer Einzigartigkeit ihren Weg durch das Leben gefunden. Es ist daher keine Esoterik, jedem Baum seine eigenen Wesensmerkmale zuzuschreiben.

Diese Einzigartigkeit macht Bäume auch zu einer Projektionsfläche für unsere Assoziationen. Ich weiß natürlich, dass die Eiche nicht zu mir sprechen kann. Aber vielleicht ist es die Schöpfung selbst, die uns an solchen Orten eine Assoziation eingibt: „Sei still! Sieh mich an.“. Ich glaube, man nennt dieses Gefühl dann Ehrfurcht.

Übrigens, einen Namen bekommen die Bäume von mir, damit ich sie in meinem digitalen Archiv wiederfinde.